Klimaschutz: „Der Wald ist unser großer Verbündeter“
10.09.2025
Den Wäldern in Deutschland geht es schlecht. Was das für das Erreichen der deutschen Klimaziele bedeutet, erklärt LMU-Geographin Julia Pongratz im Interview.
10.09.2025
Den Wäldern in Deutschland geht es schlecht. Was das für das Erreichen der deutschen Klimaziele bedeutet, erklärt LMU-Geographin Julia Pongratz im Interview.
Klima-Expertin Julia Pongratz | © LMU
Professorin Julia Pongratz leitet an der LMU den Lehrstuhl für Physische Geographie und Landnutzungssysteme an der Fakultät für Geowissenschaften. Sie wurde kürzlich in den Expertenrat für Klimafragen berufen und ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat für Natürlichen Klimaschutz.
Das Klimaschutzgesetz legt fest, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein muss. In 20 Jahren dürfen also nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden, als in anderen Bereichen gebunden werden.
Welche Rolle spielt dafür die Landnutzung?
Julia Pongratz: Im Klimaschutzgesetz spielen die Landnutzung und das Management von Ökosystemen eine besondere Rolle, weil das der einzige Bereich ist, in dem CO₂ potenziell gebunden werden kann. Andere Sektoren wie Industrie, Verkehr oder Gebäude können ihre Emissionen zwar stark reduzieren, aber selbst bei einer komplett erneuerbaren Energieversorgung wird es dort Restemissionen geben. Um 2045 treibhausgasneutral zu werden, müssen diese kompensiert werden. Dafür ist der Landnutzungssektor prädestiniert, denn derzeit erfolgt weltweit praktisch alle CO₂-Entnahme über diesen Bereich. Klimaneutralität erreicht man nur, wenn man Emissionsquellen reduziert und gleichzeitig vorhandene Senken erhält und stärkt.
Der Landnutzungssektor kann also mehr Treibhausgase binden, als er ausstößt?
Die beiden größten Ströme in der Landnutzung in Deutschland sind Emissionen aus trockengelegten Mooren und CO₂-Aufnahme durch Wälder. In Deutschland entstehen massive Emissionen – etwa 50 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr – aus entwässerten Mooren, die landwirtschaftlich genutzt werden. Diese Emissionen wurden lange Zeit durch die Wälder ausgeglichen oder sogar überkompensiert.
Der Wald ist im Klimaschutz unser großer Verbündeter: Global nimmt er jedes Jahr etwa ein Viertel bis ein Drittel der menschlichen CO₂-Emissionen auf – eine kostenlose Ökosystemleistung. Ohne diese natürlichen Senken – neben den Wäldern zählen auch die Ozeane dazu – wäre der Klimawandel doppelt so stark.
Der Sektor „Land Use, Land Use Change and Forestry“ (LULUCF) umfasst verschiedene Formen der Landnutzung und des Ökosystemmanagements, einschließlich der Waldwirtschaft. Nicht dazu gehört die Landwirtschaft, die separat erfasst wird.
Wir brauchen also mehr Wald?
Mehr Fläche für naturnahe Waldökosysteme hilft bei der CO₂-Speicherung. Oft wird eingewandt, dass dies mit der Produktion von Nahrungsmitteln oder Weideflächen in Konkurrenz stehe. Tatsächlich ließe sich aber viel Fläche frei machen, wenn man Produktion und Konsum hin zu gesünderer Ernährung und pflanzlichen Nahrungsmitteln umstellen würde. Das wäre eine Win-win-Situation in Sachen Gesundheit und Klimaschutz.
Klimafreundlich ist auch die Extensivierung von Waldflächen. Lässt man Wälder aufwachsen, erreichen sie eine hohe Kohlenstoffdichte. Der Speichereffekt lässt sich noch steigern, wenn man Holz entnimmt und in langlebigen Produkten verbaut. Aber wir müssen die Ressource Holz sorgsam nutzen: Entnimmt man zu viel, sinkt die Kohlenstoffdichte. Es spielt auch eine Rolle, wie die Wälder zusammengesetzt sind. Fichtenmonokulturen sind extrem anfällig für Störungen. Laub- und Mischwälder sind deutlich robuster gegenüber Extremwetter und daher verlässlichere CO₂-Speicher. Besonders alte Buchenwälder sollten weniger intensiv genutzt werden, da sie über lange Zeiträume CO₂ binden.
Viele sind davon ausgegangen, dass der Wald eine verlässliche CO₂-Senke bleibt, doch er hat uns das Gegenteil gelehrt.Julia Pongratz
In den letzten Jahren kam es zu gravierenden Schäden im deutschen Wald. Was ist passiert?
Deutschlands Wälder haben sich in den letzten Jahren von einer bedeutenden CO₂-Senke zu einer massiven CO₂-Quelle entwickelt. Hauptursache dafür sind die Dürrejahre ab 2018, die den deutschen Wald stark geschwächt haben, sodass er anfälliger für Schädlinge wie den Borkenkäfer wurde. Dürre, Hitze und Insektenbefall hatten verheerende Folgen, vor allem für Fichtenbestände, etwa im Bayerischen Wald oder im Harz. Aber auch bei den Buchen und Eichen gibt es deutliche Schäden.
Die Extremwetterereignisse von 2018 und den Folgejahren haben den Landnutzungsbereich komplett auf den Kopf gestellt. Abgestorbene Bäume binden kein neues CO₂ und setzen beim Verrotten das bereits gespeicherte frei. In den 90er-Jahren war der Wald noch eine Netto-Senke von etwa 70 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr. Im Jahr 2023 dagegen stieß er 20,9 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente aus.
Deutschland kann sich also nicht mehr auf den Wald als Klimaschützer verlassen?
Viele sind davon ausgegangen, dass der Wald eine verlässliche CO₂-Senke bleibt, doch er hat uns das Gegenteil gelehrt. Wir können mit geeigneten Maßnahmen zwar wieder Wald aufwachsen lassen, aber Fakt ist: Die vorhandenen Schäden verschwinden nicht über Nacht. Bis Wälder sich von so einer Zerstörung erholt haben, dauert es sehr lange – Jahrzehnte bis Jahrhunderte. Wir werden auch über die nächsten Jahre und Jahrzehnte hohe Emissionen aus den geschädigten Beständen verzeichnen. Irgendwann wird der Wald sich dann hoffentlich so weit regeneriert haben, dass er wieder mehr CO₂ bindet, als er ausstößt.
Bekommt Deutschland dadurch ein Problem mit den Klimazielen für 2045?
Laut Klimaschutzgesetz sollten im Sektor der Landnutzung bis 2045 zusätzlich 40 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente im Jahr gespeichert werden. Doch seit Festlegung dieses Ziels hat sich die Lage grundlegend geändert. Heute stößt der einzige Sektor, der eigentlich eine Senke sein sollte, CO₂ in großen Mengen aus. Die Projektionen zeigen eindeutig, dass wir die festgelegten Werte im Landnutzungssektor nicht erreichen werden und sich dort eine gewaltige Lücke auftut.
Im Fokus des neuen Klimaschutzgesetzes von 2024 steht eine Gesamtbetrachtung des Treibhausgasausstoßes aller Sektoren. Wenn man davon ausgeht, dass der Landnutzungssektor eine Senke darstellt, kann man die Ziele in anderen Sektoren aufweichen. Man könnte also Zielverfehlungen im Verkehrsbereich oder in der Landwirtschaft über den Wald kompensieren. Die neuen Daten über den Zustand der Wälder zeigen, dass dies eine Illusion ist.
Es geht nicht um die Frage, ob wir uns Klimaschutz leisten können – er ist das Einzige, was wir uns leisten können, weil alles andere teurer wird.Julia Pongratz
Was bedeutet das für den Klimaschutz?
Vor allem, dass Deutschland die Emissionen in allen Bereichen schnell und dauerhaft nachhaltig reduzieren muss. Vor allem die Sektoren Verkehr und Gebäude, die ihre Klimaziele derzeit noch verfehlen, müssen deutlich ambitioniertere Maßnahmen umsetzen. Denn beim Wald ist kurz- und mittelfristig nichts mehr herauszuholen.
Oft heißt es, Deutschland könne mit nur zwei Prozent der globalen Emissionen wenig bei der Rettung des Weltklimas ausrichten. Aber zwei Prozent bei nur einem Prozent der Weltbevölkerung sind viel – und Deutschland hat als drittgrößte Volkswirtschaft und als ein Land, das historisch vom Einsatz fossiler Energieträger massiv profitiert und zum Klimawandel beigetragen hat, eine besondere Verantwortung.
Und gleichzeitig muss man Treibhausgase aus der Atmosphäre holen?
Ja, es ist ausschlaggebend, natürliche CO₂-Senken zu schaffen, zu pflegen und zu erhalten. Dazu gehören Waldmehrung und der Umbau zu klimaresilienten, biodiversen Wäldern mit hohem Laubbaumanteil. Die Forstwirtschaft sollte angepasst werden – etwa durch Extensivierung auf risikoarmen Standorten. Neben den Wäldern müssen auch andere Landflächen einbezogen werden, vor allem Moore. In der Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats für Natürlichen Klimaschutz empfehlen wir, bis 2045 etwa 80 Prozent der deutschen Moore wieder zu vernässen. Dies hilft vor allem der Emissionsminderung, aber ein Aufbau der organischen Böden speichert langfristig auch wieder CO2 ein.
Auch technische Lösungen sind erforderlich: Kürzlich hat die Bundesregierung die Novelle des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes beschlossen. Damit wird der Aufbau einer CO₂-Transport- und -Speicherinfrastruktur in Deutschland ermöglicht. Angesichts der Tatsache, dass wir Netto-Null nicht allein mit dem Wald erreichen werden, sind technische Senken nötig, um unvermeidbare Restemissionen auszugleichen. Allerdings darf das nicht zu dem Irrglauben führen, man könne durch technische Speicherung unambitionierte Emissionsminderungen kompensieren.
Wie sind die nötigen politischen Maßnahmen mit wirtschaftlichen Interessen in Einklang zu bringen?
Ich halte es für ein großes Missverständnis in der Kommunikation von Klimapolitik, Klimaschutz als reinen Kostenfaktor darzustellen. Studien zeigen, dass die Kosten der Klimaschäden, wenn kein Klimaschutz betrieben wird, weltweit deutlich höher sein werden als die Kosten für Maßnahmen zur Emissionsminderung.
Es gibt einen ‚Sweet Spot‘ minimaler Gesamtkosten. Er liegt im Bereich des Ziels des Klimaabkommens von Paris, bei um die 2 Grad globaler Erwärmung. Aus ökonomischer Sicht ist das am kosteneffizientesten. Es geht also nicht um die Frage, ob wir uns Klimaschutz leisten können – er ist das Einzige, was wir uns leisten können, weil alles andere teurer wird.
Deutschland ist eines von 22 Ländern, in denen in den letzten zehn Jahren die Wirtschaft gewachsen ist, während gleichzeitig die CO₂-Emissionen sanken – es ist also möglich, Emissionen und Wirtschaftswachstum voneinander zu entkoppeln.Julia Pongratz
Palmölplantage am Rande des Regenwaldes | © Richard Carey / stock.adobe.com
Wir haben über den deutschen Wald gesprochen. Wie sieht es global aus?
Auf der ganzen Welt befinden sich die Wälder in der Krise. In vielen Regionen Europas nehmen Waldbrände zu, werden extremer und häufiger, 2023 und 2024 gab es in Kanada große Dürren und verheerende Feuer, und auch in Südamerika kam es zu Hitzewellen und Dürren, wo die Regenwälder zusätzlich durch die fortschreitende Entwaldung gefährdet sind.
Über die Hälfte der weltweiten Landnutzungsemissionen stammt aus nur drei Ländern: Brasilien, Indonesien und der Demokratischen Republik Kongo. Ein großer Teil der dortigen Abholzung dient der Produktion von Soja, Fleisch und Palmöl, die in den globalen Norden und nach China exportiert werden. Ungefähr ein Viertel der globalen Landnutzungsemissionen entsteht für den Export in andere Länder. Hierüber haben wir im globalen Norden also auch direkte Stellschrauben für den globalen Klimaschutz in anderen Ländern.
Zurück zu den deutschen Klimazielen: Sind sie überhaupt noch zu schaffen?
Es ist schwer, Mut zu machen, weil die Lage aktuell sehr kritisch ist. Andererseits ist klar, was getan werden muss – denn wir tun es schon, nur zu langsam: Deutschland ist eines von 22 Ländern, in denen in den letzten zehn Jahren die Wirtschaft gewachsen ist, während gleichzeitig die CO₂-Emissionen sanken – es ist also möglich, Emissionen und Wirtschaftswachstum voneinander zu entkoppeln.
Beim Klimaschutz ist vieles eine Frage des politischen und gesellschaftlichen Willens. Dabei sollte es nicht um eine Verzichtsdebatte gehen, sondern darum, die großen Synergien zu erkennen und zu fördern, die Klimaschutz mit Naturschutz, Gesundheit und einem lebenswerten Umfeld schaffen kann.